Auch wenn es nicht direkt etwas mit Hunden zu tun hat, die „Diskussion“ um den getöteten Wolf MT6, liebevoll „Kurti“ getauft, hat mich lange beschäftigt.
Als Hundehalter und -liebhaber kommt man um das Thema des wilden großen Bruders kaum herum.
Ich habe den Meinungsaustausch und die Art und Weise wie Argumentationen aufgebaut wurden eine Woche relativ intensiv studiert, obgleich ich gar nicht auf die Frage hinaus möchte, ob der Abschuss nun richtig oder falsch war.
Viel spannender ist die Frage, warum bei aller Passion kein objektives Gespräch über das Wildtier möglich ist.
Ich bin NABU-Wolfspatin, mochte Wölfe schon lange bevor ich Hunde mochte und beschäftige mich gerne mit diesen faszinierenden Tieren. Ich bin also ganz sicher nicht vom „Rotkäppchen-Syndrom“* befallen.
*So gemeint wie es Wolfsliebhaber nutzen: Eine irrationale Angst vor dem Wolf, geschürt durch das Märchen von Rotkäppchen.
Dialektik unter Experten
Dieser Tage melden sich sehr viele Experten und Canidenforscher zu Wort, aber auch Jäger oder Mitglieder von Naturschutzvereinen.
Viele dieser Wolfsforscher und -fachleute können ziemlich objektiv begründen, warum eine „letale Entnahme“ von MT6 zumindest nachvollziehbar ist, beispielsweise Tanja Askani.
Es gibt es natürlich auch unter den diesen Leuten Gegenstimmen, z.B. sprach Thomas Riepe seine Verständnislosigkeit aus.
So sind dialektische Themen nun einmal, das ist völlig legitim. Selbst seinem Gefühlsleben Ausdruck zu verleihen, ist nicht per se negativ. So können eindeutige Stellungen bezogen werden oder aber abgeschwächt werden, je nachdem welches argumentative Ziel der Diskussionsteilnehmer verfolgt.

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Zeppelin, „Blicke die sich trafen!“
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Wolfhundehalter sind nicht unbedingt Wolfsexperten
Es gibt aber eine Fraktion, die mir besonders „laut“ aufgefallen ist: Halter von Wolfhunden. Das liegt freilich in der Natur der Dinge, schließlich halten sie Hunde, die einen echten Anteil modernes Wolfsblut in sich trägt. Das ist keine negative Wertung, sondern schlicht deshalb erwähnenswert, weil sich die Halter solcher Hunde noch näher „dran“ fühlen und dementsprechend hingebungsvoll mit Wölfen identifizieren.
Was ich jedoch nicht nachvollziehen kann, ist die Haltung jener Personen. Nicht nur wird undifferenziert und sehr emotionalisiert geschrieben; teilweise erschrecken die Kommentare so sehr, weil sie menschenverachtend, nicht reflektiert und nur halbwahr sind.
So wird das Paar, das den vermeintlichen Kurti-Angriff auf ihren Hund gemeldet hat, an den Pranger gestellt, die verantwortlichen Politiker werden persönlich beleidigt, es werden wüste Verschwörungstheorien bedient und sogar letztendlich behauptet, der Wolf sei unter gar keinen Umständen gefährlich für den Menschen.
Das ist die Schnittmenge der Wolfhundehalter und -freunde, die eben auffällt, weil sie sich am meisten zu Wort meldet.
Sicherlich gibt es auch gemäßigte oder gegenteilige Meinungen, die mir leider noch nicht über den Weg gelaufen sind.
Vielleicht schwingt dabei auch die Verharmlosung des Wolfes und des Wolfhundes auf Seiten der Wolfhundefans mit, es wird sogar wieder behauptet, dass (Amerikanische) Wolfhunde aufgrund ihres Wolfanteils Menschen nicht beißen würden.
Scheinbar wird der Hundeanteil in diesen Tieren gerne verdrängt.
In einem anderen Beispiel, das direkt Kurti betrifft, werden Scheinkausalitäten bedient, sowie die Frage nach den Schuldigen gestellt, statt objektiv beim Thema zu bleiben, nur um ein Resümee von der Unschuldigkeit Kurtis abgeben zu können. Dabei ist das keine Frage von Schuld, es ist überhaupt kein ethisches Problem, mit dem wir uns konfrontiert sehen.
Es ist weiterhin fraglich, ob ein Wolfhundehalter, der nicht vor Ort als Experte zu Rate gezogen wurde, sondern ausschließlich über das öffentlich zugängliche Material und nicht zusammenhängeden Vorfällen mit Wölfen argumentiert, mehr Ahnung haben sollte als andere, die sich mit diesen Tieren hobbymäßig beschäftigen.
Wolfhunde sind keine wildlebenden Wölfe und deren Halter sind keine Experten für wilde Wölfe per se.
Yoma mit Tschechoslowakischem Wolfhund
Alles nur Propaganda? Hetze? Hysterie?
Die allermeisten Wölfe sind für den Menschen keine Bedrohung, auch Kurti war keine tatsächliche Gefahr, aber eine potentielle oder wenigstens gefühlte.
Menschen, die das so empfinden, als Spinner abzutun, hilft sicher nicht, dass der Wolf künftig akzeptiert wird. Es hilft ebenso nicht, wenn die Gefahren herabgespielt oder totgeschwiegen werden.
So kann es passieren, dass Wölfe Hunde angreifen, weil sie als Eindringlinge betrachten und auch ein Angriff auf einen Menschen – je nach Umstand – ist zumindest vorstellbar.
Gleichwohl gibt es faszinierende Geschichten von wilden Wölfen (oder auch Füchsen), die mit Hunden Freundschaft schließen. Es gilt beide Seiten zu beleuchten.
Das Beharren auf Halbwahrheiten ist sicherlich keine Argumentation pro Wolf.
Es wurde gut ausreichend begründet, warum eine Gehegehaltung nicht in Frage käme. Auch „schießwütigen Jägern“ kann keine Schuld gegeben werden, da Wölfe nicht unter das Jagdrecht fallen.
MT6 wurde von einem Scharfschützen der Polizei getötet.
Hier ein Zitat des Vorsitzenden der Landesjägerschaft Niedersachsen:
Sollte der sogenannte Problemwolf zum Abschuss freigegeben werden, steht Niedersachsens Landesjägerschaft nämlich nicht bereit, um das Tier zu erschießen. Das sagte der Vorsitzende der Landesjägerschaft Niedersachsen, Helmut Dammann-Tamke, Niedersachsen 18.00 im NDR Fernsehen. „Der Wolf unterliegt nicht dem Jagdrecht, sondern dem Naturschutzrecht“, so Dammann-Tamke. „Solange der Wolf nicht im Jagdrecht ist, haben die Jäger überhaupt keine Zuständigkeit und wir werden uns auch nicht in diese gesellschaftliche Auseinandersetzung ohne große Not hineinbegeben.“
In den Medien wurde teilweise reißerisch über Kurti berichtet, das ist nicht von der Hand zu weisen, diesen Wolf jedoch nur deswegen quasi heilig zu sprechen, ist das Verfallen in das andere Extrem.
Nicht jeder kann einen Jungwolf vertreiben, oder traut sich das in diesem Moment. Es scheitern ja schon viele Hundehalter daran, einen normalen Haushund von ihrem Hund fernzuhalten.
Diese Ängste und Gegebenheiten müssen mitberücksichtigt werden.
Ich stimme mit dem NABU und anderen Verbänden überein, dass zum Schutz der Wölfe noch einiges am Wolfsmanagment verbessert werden muss.
Auch sehe ich MT6 nicht als Bestie, die meisten Videos von mutmaßlichen Sichtungen empfinde ich auch als „harmlos“, ich sehe da teilsweise sogar ausweichendes Verhalten gepaart mit jugendlicher Neugier.
Andere Videos hingegen belegen durchaus, dass MT6 deutlich forscher und furchtloser als die bisherigen Wölfe in Deutschland war.
Es gibt auch Erklärungen, warum der schwedische Vergrämungsexperte, der Kurti für ungefährlich hielt, gar nicht so nah an das Tier herangekommen ist.
Womöglich hat Kurti eine Gefährtin gefunden gehabt und wäre daraufhin etwas vorsichtiger gewesen.
Meine persönliche Erklärung ist da eine andere. Ich traue Wölfen durchaus zu, genau zu beobachten und deshalb zu „ahnen“, was Menschen vorhaben.
So wie meine Shibas sich manchmal einfach nicht anleinen lassen wollen, obwohl sie sonst gerne zu mir kommen. In ihren Gesichtern sehe ich ein großes „Nö!“ und sie halten Abstand zu mir, weil sie genau wissen, wie schnell ich bin bzw. dass sie schneller sind. Sie wollen jetzt einfach noch nicht angeleint werden, Punkt. Das ist zwar nicht die Regel, aber es kommt vor.
Natürlich ist das rein spekulativ, aber ich möchte ohnehin nicht erörtern, ob der Abschuss nun richtig oder falsch war.
Ein Erlebnis, das der Zaun dazwischen möglich macht
Warum aus einem „guten Wolf“ schnell ein böser wird
Ich liebe Wölfe. Ich möchte Wölfe in Deutschland haben, auch gerne in Bayern. Ich möchte, dass sie weiterhin geschützt bleiben und nicht ins Jagdrecht aufgenommen werden. Ich möchte, dass Menschen lernen, selbstverständlicher mit ihnen umzugehen und die Natur respektieren.
Dazu ist es aber nötig, Menschen auch über die potentiellen Gefahren aufzuklären und nicht den Wolf völlig zu verklären!
Bedrohungsszenarien durch Wölfe müssen mit Objektivität und Rationalität argumentativ aufgeschlüsselt und analysiert werden. Menschen abzuspeisen, ihnen vorzumachen, der Wolf würde niemals einen Menschen angreifen wollen und fast schon fanatisch Partei für den toten MT6 durch plakative Formulierungen wie „widerrechtliche Hinrichtung“, „Propaganda durch die Jägerlobby“ oder „Rotkäppchen-Syndrom“ zu ergreifen, all das hat vielleicht einen unfreiwillig schadhaften Subtext für alle Wölfe.
Auch Scheinargumente, die ungültige Vergleiche zu bissigen Hunden oder angreifenden Wildschweinen ziehen, sind abzulehnen, da sie weder für noch gegen Wölfe sprechen.
Ebenso der in den letzten Tagen beliebte Sophismus von dem viel gefährlicheren Straßenverkehr greift nicht, da auch dieser mit der potentiellen Bedrohung durch einen Wolf nichts zu tun hat. Jene durch ungültige Argumente zu relativieren, zeugt nur von einem schlechten Diskussionsstil.
Radikale Wolfsfreunde, die andere verunglimpfen und ein Raubtier zu einem ungefährlichem Kuschelhund verklären, stoßen nicht nur auf taube Ohren. Moralisch werten sie, dass das Tier „unschuldig“ sei, obwohl die menschengemachte Ethik eigentlich nicht auf Tiere anwendbar ist. Ein unschuldiges Tier sei ein gutes Tier und deshalb habe es den Tod nicht verdient. Das Spiel mit den moralischen Werten kann nach hinten losgehen und nicht erst dann, wenn der erste Mensch (durch welche Umstände auch immer!) verletzt wurde.
Die Ablehnung der radikalisierten Meinung wird nur allzu gerne auf die Wölfe projiziert und am Ende ist das gute Tier vielleicht doch ein „böser Wolf“.
Wölfe sind nicht böse, deswegen können sie auch nicht gut sein. Es sind Wildtiere, die nach ihrer Art leben. Nicht mehr und nicht weniger.